Eigentlich habe ich mein halbes Leben lang Sport getrieben. Vom Leistungssport Schwimmen bis zum Regatta segeln. Aber gelaufen bin ich nie. Das war langweilig und somit unattraktiv. Das war sicherlich auch der Grund, warum ich für mein erstes Paar Laufschuhe kein Geld bezahlen musste: die bekam ich umsonst. Diese Schuhe waren blau und der Hersteller war auf den ersten Blick nicht erkennbar. Doch einem geschenktem Gaul schaut man nicht ins Maul. Denn auch meine Uniform war markenlos und zweckmäßig. Nach der Zeit der Demütigungen und Schikanen legte ich diese Schuhe gleich wieder in der elterlichen Schuhschrank, wo diese sicherlich noch heute treu auf mich warten.
Zwölf Jahre und zehn Kilogramm später kam eine besonders sportliche und attraktive Kollegin mit den neu erstandenen Laufschuhen in das Büro. Diese Schuhe passten zu der ihr eigenen Leichtigkeit. Da auch ich mir noch immer diese Leichtigkeit zu schrieb, kaufte ich mir spontan diese Schuhe. Laufband oder Videoanalysen waren hierfür nicht erforderlich; Intuition und Projektion der Sportlichkeit dieser Kollegin auf meine Person waren ausschlaggebend für die Kaufentscheidung. Dieses kurze Zwischenspiel fand jedoch nach ein paar Wochen ein jähes Ende.
Rund ein Jahr und zwei Kilogramm später verbrachten meine Freundin und ich sechs Wochen in Australien. Es war ein unbeschreiblich schöner Urlaub. In Sydney schien jedermann zu laufen. Um ein wenig dieses australische Gefühl der Gelassenheit zu spüren, kauften wir zwei Paar Laufschuhe – bezahle zehn Dollar extra und nimm zwei Paar Laufschuhe des Vorjahres. Nun waren wir Teil dieses Kontinents und wurden in unserer neuen australischen Tracht auch gleich von japanischen Touristen fotografiert. Nach dem Urlaub ist vor dem Urlaub. Daher blieb es hier auch bei einem sehr kurzen Intermezzo.
Es ging wieder ein Jahr und zwei weitere Kilos ins Land und es kam wieder ein neuer Laufschuh. Nun wollte ich es wissen. Es wurde kein Risiko eingegangen. Gleichgesinnte sollten mich motivieren. Ich stürzte mich auf das Usenet und gründete zusammen mit netter Unterstützung die Gruppe de.rec.sport.laufen (drsl). Diese gemessen an den vorherigen Versuchen erfolgversprechende Strategie brachte mich dazu, dieses Vorhaben ein ganzes Jahr durchzuhalten. Ich schaffte es wenigstens, mein Gewicht in diesem Zeitraum zu halten.
Dann war mal wieder Schluss mit Sport. Mein Sohn wurde geboren und ich hörte auf zu rauchen. Es gesellte sich noch eine Tochter zu unserer kleinen Familie und so trat der Sport zunehmend in den Hintergrund. Bis dann die Schwester weitere sechs Jahre und 12 Kilogramm später bei der Kommunion der Nichte ein folgenschweres Foto von mir schoss. Ich war überrascht, dass ich plötzlich ein Doppelkinn besaß und dass das Hemd spannte. Ich hatte zwar schon vor einer Weile die Luft anhalten müssen, wenn ich meine Anzughose zuknöpfte und auch mein Sakko konnte ich nicht mehr schließen, aber diese Ausmaße waren mir nicht bewusst. Ich fing mal wieder an zu laufen.
Das ist jetzt (August 2012) mehr als drei Jahre, 25 Kilogramm und ein paar tausend Kilometer her.
Ich habe in der Folge an einigen Halbmarathon-Veranstaltungen teilgenommen und auch die Marathonstrecke in Angriff genommen. Mittlerweile ist Laufen Teil meines Lebens geworden und ich habe Kontakt zu Gleichgesinnten in einem Verein gesucht.
Fortsetzung folgt…